Freitag, 23. Oktober 2015

Comunidade Santa Marta

Hier schnell einige Bilder des Favela-Besuchs. Es gibt so viel zu erzählen, doch gerade keine Zeit zum Schreiben. Allen Kindern geht es sehr gut. Viele haben heute die Strände auf dem Programm mit ihren Gastfamilien.

Nun im Nachhinein ein Bericht des Favela-Besuchs, der sehr aufregend war. Begleitet von der EAC-Lehrerin Alba Koschorke und Sozialpädagogin Luzie ging es nach dem Portugiesisch-Unterricht gleich um 9 Uhr auf den Weg zur nahegelegenen Favela "Santa Marta", die eigentlich "Dona Marta" heißen sollte.

Wieder etwas dazugelernt: Da die Leute den Namen so oft falsch verwendeten, wurde im Laufe der Jahre aus Marta tatsächlich eine Heilige. Nun hat sie diesen Namen auch bei Wikipedia. "Favela" ist der Name einer Pflanze, die bei der ersten dieser Art in Rio so häufig vorkam, dass man daraus den Namen des Wohngebiets gemacht hat, dann auf alle ähnlichen Gebiete übertrug. Gleich am Anfang der Führung klärte uns Alba darüber auf, dass "Favela" heute nicht mehr politisch korrekt sei. Man spricht nun von einer "Comunidade", also einer sich selbst verwaltenden Gemeinschaft. Hört sich gar nicht schlecht an. Mal sehen wie so etwas funktioniert...

5000 Menschen wohnen hier, keinen Steinwurf entfernt von der Schule, und dennoch ganz und gar getrennt vom Puls der Großstadt. Vom lauten Verkehr und dem regen Treiben der Hauptstraße Sao Clemente geht eine kleine Seitenstraße ab - in eine andere Welt. Es ist eine sehr kleine Gemeinschaft, kommen doch andere davon in Rio auf über hunderttausend Einwohner!

Selbstbewusst geht unsere Leiterin Alba Koschorke den Hügel hinauf, vorbei an kleinen Läden und Werkstätten, hin zu der Trambahn, die uns ganz nach oben bringen wird. Etwas mulmig ist uns schon, als wir dort auf die Kabinenbahn warten. Da kommt eine junge Frau zu uns mit Rucksack und einem bunt bedruckten T-Shirt, "Santa Marta" steht darauf. Sie gibt uns eine Karte: Offizielle Reiseführerin der Communidad Santa Marta. "Sowas - Es gibt hier echten Tourismus!" In der Tat werden noch viele Touristen an uns vorbeimarschieren, die Treppen hoch und runter. Es sind einige Paare und kleine Gruppen. Unter der Leitung von Alba führen wir uns sicher.

Die Bahn bringt uns mit gefühlter Millimetergeschwindigkeit nach oben. Es gibt einige Zwischenstopps und eigentlich sogar zwei Bahnen - wir müssen einmal wechseln. Die Einheimischen in der Bahn begüßen uns nett, lächeln. Sie versuchen, den Kontakt herzustellen, doch so einfach ist das auch mit drei Tagen Portugiesisch nicht. In der zweiten Bahn bekommen die Kids dann ein paar Sitzplätze mehr. Die Bahn wird voll. Oben angekommen erwartet uns eine wunderschöne Aussicht! Vor uns die Lagoa, dahinter die Copacabana und Ipanema, man sieht den Zuckerhut. Der allgegenwärtige Cristo Redentor über uns hält Wache. Beste Lage, denken wir! Warum wohnen hier so arme Menschen? In der Tat sind die Grundstücke etwas unterhalb auch mit die teuersten der ganzen Stadt! Doch weiter oben, so dachte man, könne man nicht mehr ordentlich bauen. Andere haben es dann doch einfach gemacht, halt illegal. Dadurch entstand das Wohngebiet, das auch jetzt noch immer eine Baustelle ist. Alle paar Meter wird gewerkelt und gebaut, ohne Architek, meist von älteren Männern.
Alle 5 Minuten schwenkt ein großes Flugzeug dicht über dem Corcovado hinter uns ein, das Fahrwerk fährt heraus, mit entsprechend großem Lärm. Die Maschine wird wieder kleiner, fliegt über den Zuckerhut und verschwindet dann wieder aus unserer Sicht, um auf einem der beiden Flugplätze weiter entfernt an der Bucht zu landen.

Unser erster Weg führt uns zur Polizeistation ganz oben auf dem Hügel. Die Polizisten sind bewaffnet, aber so freundlich, uns hineinzubitten in die Station. Dort bekommen wir kostenlos Trinkwasser, auch für unsere kleinen Wasserflaschen. Das soll für das kommende, noch ungeahnte, Fußballspiel Deutschland gegen Brasilien noch wichtig werden. Die Polizeistation ist so eine Art Refill-Anlage.

Alba bringt uns zuerst zu einer schönen Aussichtsplattform, dann soll eigentlich die Besichtigung der Favela beginnen, verbunden mit dem Besuch einer Kinderkrippe "Casa Maria Marta". Doch die 4 Jungs in unserer Gruppe ändern das Programm: "Können wir gegen die Fußball spielen?" Fragen sie Alba, die sich mit dem Trainer einer Schülermannschaft der Communidad unterhält. Der junge Mann trainiert offenbar eine Schülergruppe auf dem Fußballfeld ganz oben auf dem Hügel. Die Jungen und Mädchen haben richtig tolle Trikots und Schuhe an. Sie schauen uns gespannt an. "Alemanha?", fragen sie, und die Bereitschaft für ein Spiel wächst. Der Trainer oder Lehrer erklärt sich bereit, findet die Idee toll. Also spielen wir: 5 gegen 5 Feldspieler, mit Austausch. Auf beiden Seiten sind Mädchen dabei.Es wird richtig gepfiffen mit Schiedsrichter. Luis geht ins Tor, Jan in den Angriff, und wir bemerken, dass unsere Jungs und auch Mädchen richtig gut Fußball spielen können. Der kleine Hinweis auf "7 zu 1" erweckt bei der brasilianischen Mannschaft Lachen und Ehrgeiz zugleich. Das Spiel beginnt. Es sind fast 30 Grad, Gott sei Dank ist es ziemlich bewölkt. 2x10 Minuten spielen wir, liegen super in Führung. Luis hält fast alle Tore, dafür gelingt unserer Mannschaft ein Goal nach dem nächsten. Der Schiedsrichter nennt ihn lachend "Luis Neuer". Es sieht nach einem großartigen Sieg für uns aus, bis die Brasilianer wirklich Spitzenleute einwechseln. Erst in der letzten Minute wendet sich das Blatt, wir verlieren 13:11. Egal, sie haben alles gegeben, beide Seiten haben fair und doch hart gespielt. Ein verdientes Gruppenfoto mit glücklichen Gesichtern ist unser Trostpreis. Das war eine super Sache. Luis fragt an, ob wir nicht nächsten Mittwoch beim Streichen in der Favela nochmals dort spielen, oder zumindest mit den Brasilianern trainieren könnten ... Sport ist doch wirklich die universelle Sprache. So leicht kann man am anderen Ende der Welt selbst in einer Favela sofort Freunde finden!

Jetzt beginnt endlich die Besichtigung von "Santa Marta". Wir gehen eine Treppe nach der anderen hinunter. Sie sind scheinbar ohne System gebaut. Mal geht es nach links, mal nach rechts, durch schmale Türpassagen. Wir können in die kleinen Wohnzimmer der Menschen dort schauen. Viele Kleinkinder kommen uns entgegen und laufen um uns herum, die meisten von ihnen mit relativ dunkler Hautfarbe. Unser erstes Ziel ist das von Mike Mathes mit den Augen bemalte Haus ziemlich weit oben auf dem Hügel. Von unten kann man es gut sehen. Vor zwei Jahren hat es die damalige Schülergruppe mit dem Saarlouiser Künstler zusammen gemalt. Dort wollen wir ein Foto machen.
Mike Mathes hat an vielen Orten der Welt seine Augen gemalt. Es sieht sie als Bidler für die Völkerverständigung und Zeichen der Toleranz.
Plötzlich bleibt die Gruppe stehen. Ein junger Bursche. oberkörperfrei, versperrt uns den Weg und redet auf uns in Brasilianisch ein. Wir verstehen natürlich kein Wort. Alba spricht mit ihm und erklärt uns, dass dieser Wichtigtuer Geld verlangt dafür, dass wir das Haus sehen und davon ein Foto machen dürfen. Er spielt sich auf, begründet seinen Anspruch damit, dass er der Besitzer (und später der Cousin des Hausbesitzers etc.) sei. Alba diskutiert mit ihm, erklärt ihm, dass das Bild doch von "uns" gemalt wurde und wir ein Anrecht auf den Besuch hätten. Der Wichtigtuer gibt nicht nach. Wir geben nach und ärgern uns etwas, gehen die Treppen weiter nach unten. Alba wird sich später über den Jungen bei der Leitung des Malprojekts an der Basis der Favela beschweren. Diese Sache soll uns aber nicht den Tag verderben, der dafür viel zu schön ist. Daher steuern wir die Michael Jackson-Statue etwas weiter unterhalb an. Sofort ist die Stimmung spürbar besser. Immerhin ist die Statue nicht sonderlich gelungen, fordert zum sofortigen Schmunzeln auf.  An dem Platz hatte der Künstler von einigen Jahren Teile eines Musikvideos gedreht. Dort gibt es auch ein Café und einen Souvenirladen, der von uns direkt angelaufen wird. Wir machen viele Fotos, Herr Huppert und Jan kaufen sich irre Brasilienhüte, die sofort für ein weiteres Michael-Foto herhalten müssen.
Weiter geht es, weiter und weiter durch das Gewirr an Gängen. Zeitweilig richt es streng, Müll liegt am Rand. Katzen, Hunde und Hühner kreuzen unseren Weg, sie lassen ihre Reste auch gut sichtbar liegen. "Aufpassen", "Aufpassen hier" raunt es von ganz vorne bis hinten durch die Gruppe durch. Keiner will hineintreten.
Schließlich kommen wir an eine ganz unscheinbare Tür. Was will Alba hier? Sie klopft an. Zwei Frauen öffnen uns und lassen uns herein in das Haus, das sich später als wahres Hochhaus herausstellen wird. Sie erzählt uns die Geschichte des "Casa Maria Marta", wie vor vielen Jahren eine eher reiche Frau sich vornahm, die Situation der Kinder in den Armenvierteln zu verbessern, dass sie mit Saft und ein paar Butterbroten anfing, und dann nach und nach dabei half, die Kinder der Favela ganztägig zu betreuen. Alba erzählt uns von kleinen Wundern, die zum Bau des Hauses führten. Dort werden viele dutzend Kinder nach der Schule mit Essen versorgt und betreut. Angestellte und Ehrenamtlich helfen ihnen bei den Hausaufgaben, bringen ihnen Musikinstrumente bei oder den Umgang mit Computern. Es erstaunt uns, dass wir Etage um Etage in dem kleinen Haus nach unten gehen. Es ist fast wie ein Hochhaus!
Schließlich verlassen wir die Comunidade mit dem Gefühl, ein sehr authentisches Erlebnis gehabt zu haben. "Was heißt denn 'authentisch'" fragt eines der Mädchen unserer Gruppe noch berechtigterweise ... Es heißt, dass es ganz echt und nicht gespielt war, was wir erlebt haben :-)

Das war aber nicht das Ende des Ausflugs. In der Schule bekamen unsere Jungendliche noch den Arbeitsauftrag, ihre Erlebnisse auf Papier zu schildern und zu zeichnen. Auf der schönen Terrasse der EAC ließen wir alles nochmals Revue passieren und jeder hatte die Möglichkeit, seine Empfindungen und Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Die Favela bei Nacht

Alba Koschorke berichtet ...
































Sammlung der Eindrücke in der Schule:







2 Kommentare:

  1. Hallo aus dem kaltem Deutschland !!! Ich wünsche euch weiterhin vieel Spaß und gutes Wetter!
    Liebe Grüße an Alex♡

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  2. Hoffe ja dieses Fussball Freundschaftsspiel wurde 7-1 gewonnen;-)

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